Trauer als Superkraft

Trauer ist eine Superkraft, denke ich wieder mal, als ich an einem Abend in dieser Woche vor den neuen Kerzentieren von Melanie Garanin stehe. Da hängen sie, in einem schönen Raum bei Fährhaus Bestattungen in Berlin, ein wenig angefunzelt vom Licht, aber nicht zuviel, so dass man das Kerzenlicht der Zeichnungen gut spüren kann: Denn jedes Kerzentier trägt eine Kerze, jedes Tier auf seine Art: auf den Pfoten, auf dem Kopf, auf den Flügeln. Mal umarmen sie die Kerze, mal balancieren sie sie, mal lehnen sie sie sich an ihr an. Hundert Mal Licht in Dunkelheit, hundert mal die Gelegenheit, zu lachen, zu seufzen, zu weinen.

Melanie Garanin hat nach dem Tod ihres Sohnes Nils 2015 begonnen, diese Tiere zu zeichnen. Sie und ihre Familie haben immer Kerzen dabei, wenn sie das Grab von Nils besuchen und eines Tages setzte Melanies Mann Georg ihrem Pferd Viento so eine Kerze zwischen die Ohren – so entstand das allererste Kerzentier. Dem folgten eine ganze Herde, zahme Tiere, wilde Tiere, große Tiere, kleine Tiere, immer Trosttiere. Es entstand ein Buch („Was bleibt ist Licht“), über das ich mit Melanie hier bei TROSTSTOFF auch schon gesprochen habe (Episode 13) und nun gibt es wieder eine Ausstellung, die man im Fährhaus besuchen kann. Sieben Jahre nach Nils Tod. 

Und das ist für mich die Superkraft Trauer: Sie lähmt uns, sie lässt uns nicht aufstehen, sie macht uns wütend, sie treibt uns voran, sie lässt uns Neues hervorbringen, sie kann uns mit anderen verbinden, manchmal bringt sie Trost hervor. Eine Wunderkiste. Alles drin. Diese Woche waren es die Kerzentiere von Melanie.

Eure

Winnie Heescher 

Melanie Garanin: Was bleibt, ist Licht. Ein Trostbuch. Verlag Ars Edition.

Fährhaus Bestattungen. Dieffenbachstr. 19, 10967 Berlin. Das Fährhaus ist von zwei sehr netten Frauen gegründet worden. Ein Besuch dort lohnt sich immer!